Aigner, Thomas: Die Bestimmung der Skizzen, Entwürfe und Frühfassungen der Oper Die Königin von Saba von Carl Goldmark: Grundlage zur Geschichte der Entstehung des Werks

Obwohl heute nur mehr selten gespielt, ist die am 10. März 1875 an der Wiener Hofoper uraufgeführte Oper Die Königin von Saba von Carl Goldmark (1830 - 1915) eines der erfolgreichsten musikalischen Bühnenwerke eines österreichischen Komponisten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bis zur Jahrhundertwende wurde das Stück allein an der Wiener Hofoper mehr als hundertmal gegeben. Fast ein Jahrzehnt lang arbeitete Goldmark an dieser seiner Erstlingsoper, was die Entstehung einer derartigen Fülle an musikalischen Skizzen, Entwürfen und Frühfassungen zur Folge hatte, wie sie bei kaum einem vergleichbaren Werk zu finden ist.

Eine nähere Bestimmung dieser Materialien war bislang noch ausständig. Sie wurde durch den Umstand erschwert, dass der künstlerische Nachlass Goldmarks nicht geschlossen erhalten blieb und die genannten Quellen im Wesentlichen auf fünf Sammlungen in drei Ländern verteilt sind: die Széchényi-Nationalbibliothek (Budapest), die Österreichische Nationalbibliothek (Wien), die Wienbibliothek im Rathaus, die Library of Congress (Washington D. C., USA) und die Stanford University Library (Stanford, USA). Dazu kommt noch ein Fragment, das nur aus einem Auktionskatalog bekannt ist.

Den Ausgangspunkt der gegenständlichen Arbeit bildet ein umfangreiches Konvolut von Skizzen zur Königin von Saba, das 1984 in völlig ungeordnetem Zustand von der Wienbibliothek im Rathaus erworben wurde. Bei seiner Katalogisierung wurde wegen des zu erwartenden hohen Zeitaufwands auf eine Bestimmung der einzelnen Teile zunächst verzichtet; die Bedeutung des Werks ließ eine solche jedoch von Anfang an als wünschenswert erscheinen.

Die Einzelteile des genannten Konvoluts umfassen vom Ausreifungsgrad her das gesamte Spektrum von Melodieskizzen über Particell-Entwürfe bis hin zu vollständig ausgearbeiteten Partiturfragmenten. Eine Zuordnung zu korrespondierenden Stellen der Druckfassung ist nur teilweise möglich, da das Konvolut sehr viel verworfenes Material enthält. Dies betrifft nicht nur die Musik, sondern auch den Text der Oper. Eine gesicherte Bestimmung der Skizzen und Entwürfe ist daher nur aus dem Vergleich mit den übrigen handschriftlichen Quellen möglich.

Eine besondere Rolle spielen dabei die autographe Partitur (Széchényi-Nationalbibliothek) und der autographe Klavierauszug der Oper (Österreichische Nationalbibliothek).

Beide repräsentieren eine Zwischenstufe auf dem Weg zur gedruckten Fassung und enthalten viel Material, das nachträglich verworfen wurde, jedoch mit einem Teil der Skizzen korreliert.

Den nächsten "Meilenstein" in der Entstehungsgeschichte stellt die von Kopistenhand stammende Uraufführungspartitur (Österreichische Nationalbibliothek) dar. Ausgehend von der autographen Partitur spiegeln sich in ihr die zahlreichen Kürzungen und Umarbeitungen wider, die kurz vor der Premiere vorgenommen wurden. Deren bedeutendste sind die Zweiteilung des ursprünglichen dritten und letzten Akts und die in mehreren Zwischenstufen erfolgte Neuorganisation des so gewonnenen vierten Akts.

Für die Druckfassung wurde ein Teil der Striche der Uraufführung wieder aufgemacht; weiters findet sich in den von der Wienbibliothek im Rathaus und der Stanford University Library verwahrten Skizzenkonvoluten zwei nachkomponierte Arien für die Vorstellungen in Italien.

Mit Hilfe der Sekundärliteratur gelingt eine ungefähre zeitliche Einordnung der mit wenigen Ausnahmen undatierten Notenmanuskripte. Durch die Auswertung sämtlicher Quellen entsteht schließlich ein Gesamtbild der außerordentlich komplexen Geschichte der Entstehung der Königin von Saba. Es zeigt, mit welchen Schwierigkeiten der bis dahin auf dem Gebiet der Oper noch völlig unerfahrene Goldmark zu kämpfen hatte.

Nicht oft lassen die Quellen zu, einem Komponisten mit soviel Wissensgewinn "über die Schulter zu blicken" . Die neu gewonnenen Erkenntnisse fließen wiederum in Form einer vertieften Katalogisierung der von der Wienbibliothek im Rathaus verwahrten Skizzen zur Königin von Saba zurück.

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